Er floh aus dem Iran, wurde in Cannes gefeiert und könnte Sonntagnacht den Golden Globe gewinnen: Hier spricht Regisseur Mohammad Rasoulof über Haft und Gedankenfreiheit.
Interview: Carolin Ströbele
Artikelzusammenfassung
Der iranische Regisseur Mohammad Rasoulof floh im Mai aus seinem Heimatland, um einer Haftstrafe zu entgehen, und fertigte in Deutschland seinen preisgekrönten Film "Die Saat des heiligen Feigenbaums" an. Der Film gewann den Spezialpreis der Jury in Cannes und wurde als deutscher Beitrag für den Oscar eingereicht. Rasoulof spricht über die Hoffnung auf Veränderung im Iran, die Rolle der Frauen in der Protestbewegung und die Bedeutung von Freiheit. Er macht sich Sorgen um sein Team im Iran und hofft auf eine positive Resonanz bei den Oscars.
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Seit vergangenem Mai ist Mohammad Rasoulof nicht nur Filmliebhabern bekannt: Unter Lebensgefahr floh der iranische Regisseur damals aus seinem Heimatland, um einer mehrjährigen Haftstrafe zu entgehen. In Deutschland angekommen, stellte Rasoulof in wenigen Tagen seinen Film "Die Saat des heiligen Feigenbaums" fertig. Darin verdichtete er die Auswirkungen der iranischen Protestbewegung "Frau, Leben, Freiheit" 2022 auf eine Familie in Teheran. Der Film gewann auf dem Festival in Cannes den Spezialpreis der Jury und wurde von Deutschland als Beitrag für den besten internationalen Film bei den Oscars eingereicht. Mitte Januar entscheidet die Academy, ob er auf die finale Nominierungsliste kommt. Bei den Golden Globes, die in der Nacht vom 5. auf den 6. Januar verliehen werden, hat Rasoulofs Film die Chance auf den Preis als bester nicht englischsprachiger Film. ZEIT ONLINE sprach mit dem 53-Jährigen per Video, das Gespräch wurde auf Deutsch übersetzt.
ZEITONLINE: Mohammad Rasoulof, wirsprechen am vorletzten Tag des Jahres 2024. Ein Jahr, in dem Sie einige derschmerzhaftesten wie schönsten Momente Ihres Lebens erfuhren: Anfang Maientschieden Sie sich, Ihr Heimatland zu verlassen. Noch im selben Monat wurdeIhr Film Die Saat des heiligen Feigenbaums in Cannes bejubelt undprämiert. Im August wurde die deutsche Koproduktion als offizielle Oscareinreichung verkündet, Mitte Dezember kam sie auf die Shortlistfür den besten internationalen Film.Welche Momente kommen Ihnen als erste in Erinnerung, wenn Sie auf dieses Jahrzurückblicken?
Mohammad Rasoulof:Das wichtigste Bild inmeinem Kopf ist der Moment, als ich oben auf den Bergen vor der Grenze zwischendem Iran und einem Nachbarland stand (Rasoulof möchte, um seine Helfer zuschützen, nicht sagen, um welches Nachbarland es sich handelt, Anm. d. Red).Es war mein allerletzter Blick zurück auf mein Vaterland. Ich habe michverabschiedet und mich gefragt: Wann werde ich es das nächste Mal sehen? Aber seit Kurzem gesellt sich zu diesem Bild noch ein anderes: Wenn ich darandenke, was in Syrien passiert ist und wie die syrische Bevölkerung es geschaffthat, Assads Regime zu beenden. Diese beiden Bilder gehören für mich nununtrennbar zusammen. Und ich frage mich: Wann ist der Iran dran? Wann wird dieiranische Bevölkerung auch frei sein?
ZEITONLINE: Noch vor wenigen JahrensagtenSie in einem Interview,Sie hätten wenig Hoffnung, dass sich im Iran etwas ändern werde. Damals wargerade der ultrakonservative Ebrahim Raissi zum Präsidenten gewählt worden.Haben Sie jetzt mehr Hoffnung, etwa mit Blick auf die Entwicklungen in Syrien?
Rasoulof:Ich meinte damals, dasssich durch Raissi nichts ändern wird. Und ich bin immer noch der Meinung, dasskeine Änderung zu erwarten ist, solange jemand aus dieser Machtstruktur an derRegierung ist. Egal, wer es ist, er wird diese Machtstruktur erhalten. Aber ichmuss zugeben, dass wir alle überrascht waren nach der Bewegung Frau, Leben,Freiheit im Herbst 2022. Wir haben eine neue Generation gesehen,die anders denkt. Diese Generation ist fordernd, sie leistet Widerstand und hatdie Kraft, sich durchzusetzen. Und die Protestierenden haben auch alle anderenGenerationen geprägt, deswegen warten gerade alle auf den richtigen Moment, andem sie die Proteste fortsetzen und zeigen können, was sie alles verändernmöchten. Die Hoffnung ist groß, dass diese Generation sich durchsetzen kann.
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ZEITONLINE: Im Dezember legte deramtierende iranischePräsident Massud Peseschkian ein Veto gegen einstrenges Kopftuchgesetz ein. Glauben Sie, dass das eine Folge der Bewegung Frau, Leben,Freiheit ist, oder hat das mit der allgemein angespannten außenpolitischenLage zu tun?
Rasoulof:Es ist ein Ergebnis desöffentlichen Widerstands der Bevölkerung. Weder dieRegierungnochder Präsident haben dieses Gesetz zurückgestellt, weilsie das Recht der Frauen anerkannt haben,selbst entscheiden zu dürfen,was sie anziehen. Der Grund war die Angst, nach einer Verabschiedungdiesesneuen Gesetzes könnte eine neue Welle von Demonstrationen undProtesten folgen.
ZEITONLINE:Zumindest in deniranischen Großstädten tragen Frauen und Mädchen zum Teil ihr Haar offen oderhalten sich zumindest nicht mehr so an die strengen Kleidungsvorschriften.
Rasoulof:Es gibt viele Frauen,die selbst entscheiden, was sie anziehen wollen und was nicht – trotz derenormen Unterdrückung des Regimes. Entscheidend ist, dass das Regime, das immergewaltsam versucht, die Menschen zu unterdrücken, plötzlich keinen Einfluss mehrauf diese Menschen hat. Die Bevölkerung hat deutlich kundgetan, dass sie nichtweiter so leben will. Und ihre Stimme war so laut, dass das Regime endlichmitbekommen hat, dass die Menschen es nicht mehr anerkennen.
ZEITONLINE: Auch in Ihrem neuenFilm Die Saat des heiligen Feigenbaums sind es die Frauen,die dasRegime offen infrage stellen. Zwei Schwestern sehen, wie ihre Kommilitoninnenbei den Demonstrationen von Regierungstruppen brutal zusammengeschlagen werden.Und wenden sich schließlich gegen den eigenen Vater, der gerade zum Richter amRevolutionsgericht in Teheran befördert wurde – und damit zum Vertreter einesSystems geworden ist, das für Frauen und Mädchen tödlich ist. Glauben Sie, dassdie iranischen Frauen für einen Regimewechsel sorgen werden?
Rasoulof:Die Frauenbewegung hateine lange Tradition in der iranischen Gesellschaft. Wichtig finde ich, dassdie neue Frauenbewegung nicht nur aus Frauen besteht, sondern dass sich auchviele Männer als Teil dieser Bewegung sehen. Diese gemeinsame Frauenbewegung hatdas Regime in eine große Krise gestürzt, und sie wird am Ende auch großeVeränderungen im Iran herbeiführen.